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Konjunktur- und Marktkommentare

Von Unsicherheit zu mehr Stabilität: Konjunkturausblick und Anlagestrategien für den Euroraum

Die höhere Resilienz und Stabilität der Euroregion machen europäische Festzinsanlagen trotz der verhaltenen Wachstumsaussichten attraktiv.

Die Währungsunion zeigt sich trotz der glanzlosen Wachstumsprognose resilient. Während sich die Europäische Zentralbank (EZB) auf Lockerungskurs begibt, halten wir europäische Festzinsanlagen weiterhin für attraktiv, da sie kurzfristig attraktive Renditen bieten und Potenzial für Kursgewinne bergen, falls sich die Lage verschlechtert.

Auswirkungen der Pandemie

Seit dem Beginn der Pandemie im Jahr 2020 verzeichnete die Euroregion ein spärliches Wachstum und durchlief einen heftigeren Abschwung und eine schleppendere Erholung als die meisten anderen Industrieländer. Die Nähe zum Ukraine-Russland-Konflikt machte den Währungsraum anfälliger für steigende Energiepreise, außerdem fielen die Konjunkturprogramme weniger großzügig aus als in den USA und die Auswirkungen der restriktiveren Geldpolitik wurden durch die kürzeren Laufzeiten von Hypotheken verstärkt.

Auf den ersten Blick sind viele destabilisierende Effekte der Pandemie inzwischen verblasst. Wie andere Industrieländer erscheint auch die Eurozone „normaler“ als zu jedem anderen Zeitpunkt seit Beginn der Pandemie (mehr dazu in unserem Konjunkturausblick). Die Gesamtinflation ist zur Zielmarke der Europäischen Notenbanker zurückgekehrt, und das reale Wirtschaftswachstum entsprach in der ersten Jahreshälfte dem Trend, während sich das Kreditwachstum stabilisierte. Die Haushaltsdefizite sind gemeinhin gesunken, außerdem befindet sich die Geldpolitik auf dem Weg der Normalisierung und die Europäischen Notenbanker haben in diesem Jahr bereits drei Zinssenkungen vorgenommen.

Nichtsdestotrotz sind die Aussichten nach wie vor ungewiss. Was die Konjunktur betrifft, stellen die Schwäche in China und im weltweiten Fertigungssektor – vor allem in Deutschland – eine Belastung dar, und die während der Pandemie angehäuften Sparüberschüsse der privaten Haushalte sind erschöpft. Aus struktureller Sicht ist das Produktivitätswachstum nach wie vor dürftig, und im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern gingen die Investitionsausgaben im Euroraum während der letzten zwei Jahre zurück. Der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi veröffentlichte unlängst eine umfassende Liste politischer Empfehlungen, um die langfristigen Wachstumsaussichten zu beflügeln. Die meisten davon dürften jedoch kaum umgesetzt werden, und bei den übrigen bezweifeln wir, dass sie den Wachstumspfad in naher Zukunft maßgeblich verändern.

Unter dem Strich erwarten wir, dass das Wachstum in Euroland spärlich bleibt und sich bei rund einem Prozent und somit nahe der langfristigen Wachstumsrate bewegt. Auch wenn wir nicht unmittelbar mit einer Rezession rechnen, ist das Risiko einer solchen nach wie vor erhöht, nicht zuletzt wegen der ungewissen Aussichten für den Welthandel, wenn man die bevorstehenden US-Wahlen bedenkt.

Stabilität inmitten der Unsicherheit

Trotz der ungewissen Wachstumsaussichten gibt es einen entscheidenden Aspekt, der uns optimistisch stimmt: Die Euro-Wirtschaft wird wahrscheinlich nicht zu dem instabilen Zustand zurückkehren, der vor einem Jahrzehnt herrschte.

Zum einen hat sich die Politik als wirksamer erwiesen und wurde zeitnaher umgesetzt als in der Vergangenheit. Während der Pandemie agierte die EZB als zuverlässiger Kreditgeber der letzten Instanz, kaufte Vermögenswerte und rief neue Instrumente (wie das Transmissionsschutzinstrument) ins Leben, um die Instabilität der Märkte zu verringern. Auch die Finanzpolitik zeigte sich proaktiver und führte mit dem EU-Wiederaufbaufonds einen grenzüberschreitenden Finanzausgleich ein, der einen Präzedenzfall für künftige Abschwünge schaffte. Darüber hinaus scheinen die derzeitigen politischen Rahmenbedingungen weniger destabilisierend, da die Unterstützung für einen Austritt aus der Währungsunion in den meisten Ländern schwindet.

Außerdem gibt es in der Region weniger wirtschaftliche Schieflagen. Viele der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte, die vor der Finanzkrise bestanden, haben sich inzwischen zurückgebildet. Nach einem Jahrzehnt der Leistungsbilanzüberschüsse tritt der Euroraum nunmehr als Nettokreditgeber für die übrige Welt auf, wobei der Umfang der internationalen Forderungen jenen der Verbindlichkeiten übersteigt. Auch unter den Mitgliedsstaaten haben sich die Wachstumszahlen angenähert: So stellen Länder, die bislang hinterherhinkten – insbesondere in der Peripherie –, die Kernländer und insbesondere Deutschland seit Beginn der Pandemie in den Schatten.

Allgemeiner betrachtet zeugt das Ausbleiben erheblicher finanzieller Belastungen in den letzten Jahren von Resilienz. Zwar ließ das Wachstum zu wünschen übrig; dennoch blieben die Staatsanleihenrenditen gemeinhin stabil, und zwar trotz der zahlreichen Herausforderungen, darunter ein Krieg in der unmittelbaren Nachbarschaft, die Einstellung der russischen Erdgaslieferungen, die steigenden Zinssätze, der Zusammenbruch der Credit Suisse und die Wahl einer rechtsextremen Regierung in Italien. Es ist wohl kaum möglich, sich negativere Schocks ausmalen, um die Widerstandskraft des Euroraums auf die Probe zu stellen, als jene, denen die Währungsunion in den letzten Jahren ausgesetzt war.

Natürlich bleiben in Ermangelung einer vollständigen Fiskal- und Finanzunion gewisse Extremrisiken bestehen. Nichtsdestotrotz mutet die Region stabiler an als vor einem Jahrzehnt.

Geldpolitik auf dem Rückweg zur Neutralität

Was bedeutet all dies für die Geldpolitik? Auf kurze Sicht ist die Richtung klar: Da die pandemiebedingten Einflüsse zusehends nachlassen, dürfte die Kerninflation im nächsten Jahr zur Zielmarke der EZB zurückkehren. Dies sollte die Zentralbanker befähigen, in den kommenden Sitzungen weitere Zinsschritte vorzunehmen. Wir gehen davon aus, dass die Leitzinsen im Laufe der Zeit wieder auf ein neutraleres Niveau zurückkehren.

Die langfristigen Aussichten für die Geldpolitik sind dagegen ungewisser. Wo liegt der neutrale Leitzins bzw. „r-star“? Trotz der anhaltend hohen Unsicherheit erwarten wir nicht, dass die Zinssätze auf das vor der Pandemie herrschende Niveau zurückkehren. Die Inflationserwartungen haben sich auf höherem Niveau verankert, und die Inflationsrisiken scheinen nunmehr ausgewogener um das Zwei-Prozent-Ziel zu sein als vor der Pandemie. Des Weiteren werden Staatsanleihen derzeit grundsätzlich mit engeren Spreads gehandelt, was teilweise auf die stabileren institutionellen Rahmenbedingungen zurückzuführen ist. Das bedeutet, dass die EZB, um unter dem Strich die gleichen Kapitalaufnahmekosten zu erreichen, ihren Leitzins auf höherem Niveau als zuvor belassen kann. Wenn sich keine Rezession einstellt, dürfte sich dieser unseres Erachtens in der Spanne von 1,5 bis 2,0 Prozent einpendeln. Eine Rezession könnte zwar weiter auf die Zinssätze drücken; aus unserer Sicht dürfte die Schwelle für die Notenbanker aber extrem hoch sein, um abermals auf Negativzinsen zurückzugreifen.

Anlageimplikationen

Vor diesem Hintergrund sehen europäische Festzinsanlagen nach wie vor attraktiv aus. Während die kurzfristigen Zinssätze im Großen und Ganzen angemessen eingepreist scheinen, rechnen wir damit, dass sich die Renditekurve im Zuge der geldpolitischen Normalisierung weiter versteilert. Die langfristigen Zinssätze dürften im Verhältnis zu den kurzfristigen also steigen.

Zugleich ist es schwieriger geworden, anhand der Renditeaufschläge zwischen Kern- und Peripherieländern zu unterscheiden, woran sich so bald auch nichts ändern sollte. Wegen der jüngsten politischen Volatilität in Frankreich sind die dortigen Kreditkosten inzwischen mit jenen Spaniens vergleichbar, was auch gerechtfertigt erscheint. Die Spreads italienischer Staatsanleihen (BTP) dürften dank der verbesserten institutionellen Rahmenbedingungen derweil stabiler bleiben und Diversifikationsvorteile für Anlageportfolios bereithalten.

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