Gedanken der “Anleihen-Vigilanten”
Der Begriff “Anleihen-Vigilanten” bezieht sich auf Anleger, die übermäßige Staatsausgaben disziplinieren, indem sie höhere Renditen für Staatsanleihen fordern. Seit den 1980er Jahren, als der Kapitalmarktstratege Ed Yardeni den Begriff prägte, werfen (wiederkehrende) Episoden fiskalischer Exzesse regelmäßig die Frage auf, wann diese “Anleihewächter” auftauchen könnten.
Es ist indes schwierig, plötzliche Marktreaktionen auf langfristige Trends vorherzusagen. Es gibt keine organisierte Gruppen von “Anleihen-Vigilanten”, die bereit sind, ab einer bestimmten Schuldenschwelle zu handeln; Veränderungen im Anlegerverhalten machen sich in der Regel nur marginal und über den Lauf der Zeit bemerkbar. Wenn Sie also nach Hinweisen auf das Potenzial für “Anleihen-Vigilanten” und Selbstjustiz bei Anleihen suchen, sollten Sie zunächst die größten Anleihen-Investoren – die theoretisch den größten Einfluss auf den Markt haben – fragen, was sie zu tun gedenken.
Wir bei PIMCO nehmen bereits schrittweise Anpassungen vor, um auf die steigenden US-Defizite zu reagieren. Insbesondere sind wir weniger geneigt, Kredite an die US-Regierung am langen Ende der Zinsstrukturkurve zu vergeben, was Chancen an anderer Stelle begünstigt. Hier sind unsere neuesten Überlegungen.
Bedenken und Chancen
Fiskalische Anreize trugen dazu bei, die Erholung der US-Wirtschaft nach der Pandemie zu stützen und die Aktienmärkte auf Rekordhöhen zu treiben. Obwohl die Aktienkurse weiter steigen könnten, scheinen die Bewertungen sehr hoch zu sein: Die Risikoprämie für US-Aktien – ein Maß für die Vergütung der Anleger für den Besitz von Aktien gegenüber risikofreien Zinstiteln – notiert in der Nähe des Rekordtiefs (siehe Abbildung 1).
Dieser Stimulus führte auch zu einem Anstieg der US-Verschuldung. Die Verschuldung und das Defizit sind selbst in der aktuell robusten Konjunkturphase hoch – und sie werden wahrscheinlich weiter steigen. Die US-Notenbank nannte im November in ihrem halbjährlichen Bericht zur Finanzstabilität die Tragfähigkeit der US-Schulden als größte Sorge der von ihr befragten Experten.
Angesichts der potenziellen Auswirkungen der steigenden US-Verschuldung auf Investments kommen hier drei Ansätze und Grundsätze, die wir bevorzugen und befolgen:
- Fokus auf kurzfristig und mittelfristig laufende Anleihen. Wir gehen davon aus, dass die Renditekurve von US-Staatsanleihen steiler wird, was zum Teil auf die sich verschlechternde Defizit-Dynamik zurückzuführen ist (weitere Informationen finden Sie in unserem "Konjunktur- und Marktkommentar" vom Juli mit dem Titel "Staatsverschuldung entwickelter Märkte: Risiken und Realitäten"). Dies impliziert einen relativen Anstieg der Renditen längerfristig laufender Anleihen, die von den Aussichten für Inflation, Wirtschaftswachstum und US-Regierungspolitik beeinflusst werden – einschließlich des Potenzials für eine vermehrte Emission von Staatsanleihen zur Finanzierung von Defiziten. Längerfristig laufende Anleihen haben in der Regel eine höhere Duration oder weisen eine höhere Kurs-Empfindlichkeit gegenüber Zinsänderungen auf.
Wir haben die Allokationen in Anleihen mit längeren Laufzeiten reduziert, weil wir diese – relativ betrachtet - für weniger attraktiv halten. Über die Zeit und in großem Maßstab ist dies die Art von Investoren-Verhalten, die die Rolle eines "Wachhundes" für Anleihen erfüllen kann: Regierungen werden diszipliniert, indem man von ihnen höhere Entschädigungen fordert. Wir bevorzugen kurze und mittlere Laufzeiten, bei denen Anleger attraktive Renditen erzielen können, ohne ein höheres Zinsrisiko einzugehen.
Obwohl wir die Allokationen entlang der Zinsstrukturkurve seit jeher regelmäßig anpassen, um die sich wandelnden Ansichten über Duration und "Relative Value" einzubringen, ist die steigende Staatsverschuldung nunmehr zu einem wichtigeren Faktor bei diesen Entscheidungen geworden.
- Globale Diversifizierung. Wir vergeben Kredite an den Märkten weltweit, um unsere Zins-Engagements zu diversifizieren. Großbritannien und Australien sind Beispiele für qualitativ hochwertige Märkte für Staatsanleihen mit solideren Haushalten als in den USA. Sie sind aber auch größeren ökonomischen Risiken ausgesetzt, was Anleihen-Investoren zugute kommen kann. Uns gefallen zudem qualitativ hochwertige Marktsegmente in Schwellenländern, die Rendite-Vorteile gegenüber Industrieländern bieten.
Auch Anleihen, die nicht aus den USA stammen, können dazu beitragen, das Aktienengagement in Portfolios abzusichern. Wenn man die Finanz- und Fiskalpolitik (verschiedener Staaten) miteinander vergleicht, halten wir es für sinnvoll, den öffentlichen Sektor in den USA gegenüber dem privaten Sektor strukturell zurückzufahren, während in Europa im Allgemeinen eine gegenteilige Reaktion erforderlich ist, weil die Wachstumsdynamik ins Stocken geraten ist und die fiskalischen Reaktionen nach wie vor limitiert ausfallen.
Unter dem Strich weisen die USA eine solidere Gewinn- und Verlustrechnung auf, während die Europäische Union in weiten Teilen eine stärkere Bilanz aufweist. Es gibt also einen Zielkonflikt zwischen Wachstum und Widerstandsfähigkeit. Die US-Wirtschaft kann wachsen, stößt dabei aber in einen noch auf keiner Karte verzeichneten Defizitbereich vor. Die EU hingegen tut sich schwer mit dem Wachstum, konnte aber Turbulenzen wie den Brexit und die griechische Schuldenkrise bewältigen, auch wenn wir bei ausgewählten europäischen Ländern vorsichtig bleiben.
Die USA könnten sich letztendlich als widerstandsfähig erweisen. Aber die Unsicherheit nimmt zu, da die Verschuldung weiter steigt. Der US-Gesellschaftsvertrag – ein durch hohe Defizite befeuertes Wachstum – hat einen Produktivitäts- und Technologie-Boom ausgelöst, von dem US-Unternehmen und Aktienanleger profitieren (siehe Abbildung 2). Wir halten es daher für sinnvoll, Aktien-Engagements in den USA einzugehen, in Europa aber Schuldtitel-Engagements zu bevorzugen.
- Ziel ist eine höhere Kreditqualität. Sowohl bei Unternehmen als auch bei Regierungen kann sich ein steigender Verschuldungsgrad auf die Kreditwürdigkeit auswirken. Wir bevorzugen deshalb die Kreditvergabe an qualitativ höherwertige Unternehmen an den öffentlichen und privaten Märkten gleichermaßen. Die Anleihen-Spreads befinden sich in einigen Sektoren nahe der historischen Tiefststände, was bedeutet, dass die zusätzliche Rendite, die man für Abstriche bei der Kreditqualität erhält, niedriger ausfällt. An den öffentlich zugänglichen Kreditmärkten bieten qualitativ hochwertige Anleihen attraktive Renditen, und sie scheinen in den verschiedensten Konjunkturszenarien gut positioniert zu sein. An den Privatmärkten geben wir Vermögens-basierten Finanzierungen den Vorzug gegenüber Direktkrediten an Unternehmen mit niedrigerem Rating.
Wachsamkeit vor Selbstjustiz (mit “Anleihen-Vigilanten”)
In einigen Fällen haben Investoren bereits höhere Renditen gefordert, wenn sie Kredite am Anleihenmarkt vergeben. Im November stieg die "Yield to Worst" des Benchmark-Index "Bloomberg US Aggregate" zum ersten Mal seit mehr als einem Jahr auf ein Niveau über dem effektiven Leitzins. Dies zeigt auch, dass Anleihenrenditen generell (wieder) attraktiver geworden sind als Geldmarktzinsen, da die Fed begonnen hat, den Leitzins zu senken.
Gleichzeitig sind wir angesichts der Frage der Tragfähigkeit der US-Schulden und möglicher Inflationskatalysatoren wie Zölle und der Auswirkungen von Einwanderungsbeschränkungen auf die Erwerbsbevölkerung zögerlicher geworden, längerfristig laufende Kredite zu vergeben. Die USA befinden sich nach wie vor in einer einzigartigen Position, da der Dollar als globale Reservewährung fungiert und US-Staatsanleihen eine Art globaler Reserve-Vermögenswert sind. Wenn sie zu viel Geld leihen, könnte aber irgendwann der Zeitpunkt kommen, an dem die Kreditgeber Ihre Fähigkeit in Frage stellen, alles wieder zurückzuzahlen. Es bedarf keiner “Anleihen-Vigilanten”, um den Finger in diese Wunde zu legen.
Rechtliche Hinweise
Als „risikofreier“ Zins kann die Rendite einer Anlage verstanden werden, die theoretisch keinerlei Risiko aufweist. Dies impliziert, dass jedes zusätzliche Risiko auch mit einer zusätzlichen Rendite belohnt werden muss. Alle Investments enthalten Risiken und können an Wert verlieren.
Anlagen am Anleihenmarkt unterliegen Risiken wie zum Beispiel Markt-, Zins-, Emittenten-, Kredit-, Inflations- und Liquiditätsrisiken. Der Wert der meisten Anleihen und Anleihenstrategien wird durch sinkende oder steigende Zinsen beeinflusst. Anleihen und Anleihenstrategien mit längerer Duration sind häufig sensitiver und volatiler als Papiere mit kürzerer Duration. Die Anleihenpreise sinken in der Regel, wenn die Zinsen steigen. Ein Umfeld niedriger Zinsen erhöht dieses Risiko noch. Eine Verschlechterung der Bonität des Anleihenkontrahenten kann zu einer niedrigeren Marktliquidität und einer höheren Kursvolatilität beitragen. Der Wert von Anleihen kann bei der Rücknahme über oder unter dem ursprünglichen Kaufpreis liegen. Anlagen in Wertpapieren, die auf Fremdwährungen lauten und/oder im Ausland begeben wurden, können mit höheren Risiken aufgrund von Wechselkursschwankungen sowie wirtschaftlichen und politischen Risiken behaftet sein. Dies gilt vor allem für Schwellenländer.Die Kreditqualität eines bestimmten Wertpapiers oder einer Wertpapiergruppe garantiert nicht die Stabilität oder die Sicherheit des gesamten Portfolios. Managementrisiko bezeichnet das Risiko, dass von PIMCO verwendete Investment-Techniken und Risikoanalysen nicht die gewünschten Ergebnisse erbringen und sich bestimmte Richtlinien oder Entwicklungen auf die Anlagetechniken auswirken, die PIMCO im Zusammenhang mit dem Management der Strategie zur Verfügung stehen. Diversifizierung schützt nicht vor Verlusten.
Aussagen zu Trends an den Finanzmärkten oder Portfolio-Strategien basieren auf den aktuellen Marktbedingungen, die Schwankungen unterliegen. Es wird keinerlei Gewähr dafür übernommen, dass die angegebenen Anlagestrategien in jedem Marktumfeld erfolgreich durchsetzbar und für alle Anleger angemessen sind. Anleger sollten daher ihre Möglichkeiten eines langfristigen Engagements insbesondere in Phasen rückläufiger Märkte überprüfen. Anleger sollten vor einer Anlageentscheidung ihren Anlageexperten konsultieren. Ausblick und Strategien können jederzeit ohne vorherige Ankündigung geändert werden.
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